SO viel Zeit muss sein
Ein Spaziergang bei Sonnenschein, auf der Couch Musik hören, mit Kindern spielen, mit Freunden Kaffee trinken…das gehört bei vielen Menschen zu einem schönen Sonntag dazu. Es gibt keinen Tag, an dem so viel Gemeinsamkeit erlebt wird, wie am Sonntag. Allerdings nur, wenn die Familie, wenn Freunde einen gemeinsamen freien Tag haben. Ein gemeinsamer Ruhetag ist die Voraussetzung für Gemeinschaft. Familien, Freundschaften, Engagement in Vereinen und Gottesdienste basieren darauf, dass Menschen zur gleichen Zeit frei haben. Der freie Sonntag stärkt damit unser gesellschaftliches Leben.
Deshalb setzen sich die Kirchen für den Sonntag als Ruhetag für möglichst viele Menschen ein. Sie arbeiten in der Allianz für den freien Sonntag mit Gewerkschaften und Verbänden zusammen, um den Sonntag auch weiterhin rechtlich zu schützen.
Sonntagskleid
Von Misha Leuschen, Journalistin
Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange das Leben dauert, das Gott dir unter der Sonne geschenkt hat.
(Bibel, Prediger 9, 8-9)
Mein liebstes Sonntagskleid war rosa, mit grauem Überkaro. Meine Mutter hatte es genäht, genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte, mit kurzem Faltenrock und einem coolen, silbernen Emma-Peel-Kettengürtel. Während in anderen Familien wahre Kriege ausgefochten wurden um Rüschenkleider oder Club-Blazer, Helanca-Pullover oder weise Blüschen, trug ich stolz mein schönstes Kleid in der Kirche, auf Kindergeburtstagen und Familienfeiern, bis es partout nicht mehr passte.
Noch heute erinnere ich mich genau an das Gefühl des leicht kratzigen, steifen Stoffs, an das leise Geklimper des Gürtels.Sonntagskleider besitze ich schon lange nicht mehr. Am Sonntag trage ich meine Alltagskleider, denn meine Sonntage unterscheiden sich meist nicht mehr von den Werktagen. Das Feierliche, Festliche, das Besondere ist auf der Strecke geblieben. Auch meine Seele trägt Jeans, jeden Tag – ob bei der Arbeit, in der Kirche oder in der Oper. Die Freude am Sonntag mit seinen ritualen ist mir längst abhandengekommen. Die knappe Ruhepause zwischen zwei vollgepackten Wochen habe ich mir verdienst, der Sonntag gehört mir, denke ich trotzig. Also lieber ausschlafen als morgens zur Kirche gehen, lieber Jogginghose statt Sonntagskleid.
Gott mag es gleich sein, wie ich vor ihn trete, aber mir sollte es nicht egal sein, Das merke ich, wenn ich mich doch mal aufmache zum Sonntagsgottesdienst und auf dem Weg zur Kirche meine afrikanischen Nachbarn treffe. Dann fühle ich mich beschämt von hoher Fröhlichkeit und ihrem Stolz, mit denen sie den sonntäglichen Kirchgang als Höhepunkt der Woche zelebrieren und dies auch in ihrer Kleidung zeigen. Die Frauen, prächtig gekleidet in allen Farben des Regenbogens, kunstvoll frisiert, mit ausgefallenen Hüten und hohen Schuhen. Die Männer piekfein, mit bunten Westen und wunderschönen Krawatten. Und die Kinder in ihren schönsten Kleidern, fast so perfekt wie die eleganten Großen. Die Messlatte liegt definitiv zu hoch für mich - aber Schuheputzen wäre schon ein guter Anfang.
Gesegnet sind die Faulenzer
… zumindest am Sonntag
Von Dr. Gunter Volz, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung beim Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Andreas Böss-Ostendorf, Referent für diakonische Pastoral der Katholischen Stadtkirche Frankfurt
Ein Spaziergang bei Sonnenschein, auf der Couch Musik hören, mit Kindern spielen, im Garten nach den Blumen schauen... Wie stellen Sie sich ein glückliches und sinnerfülltes Leben vor?
Das Faulenzen spielt dabei bestimmt eine große Rolle. Gut, wenn man für sich persönlich das richtige Verhältnis von Arbeit und Ruhe gefunden hat. Das ist nicht einfach. In der Psychologie spricht man zwar von „Work-Life-Balance“, der Balance von Arbeit und Leben, die man anstreben sollte. Die Ruhe wird aber nicht ausdrücklich genannt. „Ora et Labora“ („Bete und arbeite“) ist das Motto, das mit den benediktinischen Klöstern verbunden wird. Schließt das Beten die Ruhe mit ein? Oder wird in christlichem Eifer das Nichtstun ausgeblendet? Im Zusammenhang mit der Nationalversammlung von 1848 wurde das Recht auf Arbeit diskutiert. Gute Arbeit für Menschen im erwerbsfähigen Alter ist für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft sehr wichtig. Aber im Jahr 1880 schrieb Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, zu Recht die Gegenschrift dazu: Das Recht auf Faulheit. Ruhe ist ebenfalls ein menschliches Grundrecht. Es ist nicht leicht, das richtige Verhältnis von Ruhe und Arbeit zu finden. Ruhen wir, um wieder mit voller Kraft arbeiten zu können? Oder verhält es sich so, wie Aristoteles schrieb: „Wir arbeiten, um Muße zu haben“?
Das Thema ist uralt. Schon im biblischen Schöpfungsbericht spielt es eine Rolle. Hier wird beschrieben, wie Gott die Balance findet: „Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte“ (Gen 2,2). Aus dem hebräischen „Ruhen, Beenden, Aufhören“ wird der „Sabbat“, der Ruhetag. Die Juden ernteten nicht viel Beifall für das Gottesgeschenk „Sabbat“. Tacitus schrieb ihnen eine „Neigung zum Müßiggang“ zu. Seneca sah – bei aller Wertschätzung der „Gemütsruhe“ und Muße – in der jüdischen Sabbatbefolgung den Verlust eines Siebtels der Lebenszeit, die man besser dringenden Geschäften hätte widmen sollen. Mit dieser Meinung würde Seneca, der Römer aus dem 1. Jahrhundert, gut ins heutige Frankfurt passen. In seiner lateinischen Sprache jedoch ist die Arbeit von der Ruhe abgeleitet: „otium et neg-otium“. „Muße und Nicht-Muße“, Ruhe und Beschäftigung werden so gegenübergestellt.
„Muße“, was für ein merkwürdiges Wort! Es ist regelrecht aus der Mode gekommen. Kaum einer weiß noch, was damit gemeint ist. Von seiner Sprachwurzel im Alt- und Mittelhochdeutschen verbergen sich dahinter die Worte „Möglichkeit“ und „Gelegenheit“. Und deshalb ist die Muße auch heute noch ein wertvolles Gut: Wenn es mir gelingt, aus der Beschleunigung und der Not des ständigen Gehetztseins zumindest für einige Zeit auszusteigen, entstehen aus der Ruhe neue Möglichkeiten und Gelegenheiten. Aber wo erlebe ich unbeschwerte Zeiten? Und ergreife ich die Möglichkeiten, die sich mir dann bieten? Auf uns lastet das Gewicht der Zeiteffizienz. Schon viele Kinder in der Grundschule haben volle Terminkalender! Jeder ist darauf geeicht, immer etwas zu tun. Haben wir nichts zu tun, fühlen wir uns unnütz und verkehrt am Platz. Es ist paradox: Wir beschweren uns darüber, von der Zeit getrieben zu werden, und zugleich verachten wir Stillstand und Langeweile. Manche fürchten geradezu diese „unangenehme Windstille der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht“ (Friedrich Nietzsche) als sinnlose Zeit. Doch die Erfahrung der Muße zeigt uns: Die besten Ideen kommen dann, wenn wir nicht krampfhaft danach suchen. Sie stellen sich ganz spontan ein: bei einem Spaziergang oder auf dem Fahrrad sind wir oft kreativer als am Schreibtisch. Muße bedeutet also nicht zwangsläufig Nichtstun, sondern entsteht aus zweckfreiem Leben. Man kann ihr auch beim Lesen, Musik hören oder in einem Gespräch begegnen. Aber sie setzt voraus, dass wir uns bewusst von unseren üblichen Geschäften fernhalten und uns Zeit für uns und andere nehmen. So gesehen ist Müßiggang nicht aller Laster Anfang, wie christliche Stimmen immer wieder mahnten, oder gar Todsünde, sondern Tugend.
Am Sonntag können wir erfahren, was es heißt, Herr über die eigene Zeit zu sein, die uns niemand nehmen kann. Gott hat uns den Sonntag geschenkt, damit wir frei werden. Deshalb steht das Sonntagsgebot in den 10 Geboten, die von Gott dem Volk Israel gegeben wurden, nachdem er es aus der Sklaverei befreite. Natürlich könnte sich auch jede Frau und jeder Mann selbst einen freien Tag in der Woche wählen. Die einen den Montag, die anderen den Samstag. Der Sonntag aber, an dem fast alle frei haben, ist etwas Besonderes. Zum einen gibt er den Kirchgängern die Möglichkeit, Gottesdienst zu feiern und die Gemeinde zu treffen. Er ist aber auch ein deutliches Zeichen für alle, dass es mehr gibt als das Schaffen. Wo dennoch gearbeitet wird, zum Beispiel in Krankenhäusern, Heimen, im Verkehrs- und im Gesundheitswesen, wird nur das Notwendigste gemacht, damit die anderen frei haben und der Sonntag gelingt.
Die Evangelische und die Katholische Kirche in Frankfurt setzen sich für den Sonntag als Ruhetag ein. Wir arbeiten in der Hessischen und in der Regionalen Allianz für den freien Sonntag mit den Gewerkschaften und Verbänden zusammen. Die Hessische Allianz engagiert sich auch mit rechtlichen Mitteln für den Sonntagsschutz und klagt gegen verkaufsoffene Sonntage. Wie können Christinnen und Christen die Chance der Muße und des „Lebens in Fülle“ (Joh.10,10) neu entdecken? Der Sonntag bietet dazu die beste Gelegenheit.
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