Wir sind So frei
„Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebenten Tage sollst du ruhen.“ (2. Mose 34,21) - Es ist ein Satz zum Schutz der Freiheit. Welch ein großartiges Geschenk ist dieses göttliche Gebot! Und ein wichtiger Beitrag des Christentums zur Kultur unserer Gesellschaft.
Ein freier Tag, der den Alltag heilsam unterbricht. Freie Zeit als Auszeit zum Auftanken! Ein freier Tag mit Zeit für mich selbst, für Freunde und Familie und für Gott. Gemeinschaft braucht gemeinsam freie Zeit. Wir arbeiten, um zu leben und leben doch nicht nur für die Arbeit. Daran erinnert der Sonntag jede Woche neu und schenkt uns Freiheit! Gott sei Dank!
10 Gründe für den freien Sonntag
Wir sind so frei
... gerade am Sonntag
In ihrer Broschüre informiert die regionale Allianz für den freien Sonntag Rhein/Main in der Hessischen Allianz für den freien Sonntag über die Bedeutung des freien Sonntags. Zehn Gründe verdeutlichen, warum es weiterhin wichtig ist, den Sonntag als freien Tag zu schützen.
Schutzgebiet Sonntag!
Zeit ist unbezahlbar
Die „Allianz für den freien Sonntag“, der auch die Kirchen angehören, setzt sich seit Jahren für die Einhaltung des im Grundgesetz verankerten Sonntagsschutzes ein. Der Sonntag ist dafür da, Zeit zu haben – Zeit, sich mit Freunden zu treffen oder Menschen in der Familie zu besuchen; Zeit, zum Gottesdienst zu gehen; Zeit zum Nichtstun oder zum Spazierengehen. Gott liebt uns auch in der Muße, in der Entspannung.
So hat der Sonntag eine gesellschaftlich/sozial ebenso wie auch kulturell hohe Bedeutung. Er erinnert uns daran, dass es mehr im Leben als den Kreislauf von Konsumieren und Produzieren gibt. Er räumt dem Leben in seiner Fülle den ihm gebührenden Vorrang ein. Nicht die Märkte, sondern die Menschen sollen frei werden.
Diese Arbeitshilfe des Kirchlichen Diensts in der Arbeitswelt (KDA) ist erschienen zum Tag der Arbeit 2016. Sie vertieft das macht Mut zu einem anderen Umgang mit Zeit. Sie vertieft das Thema Sonntagsschutz, betrachtet Fragen der Arbeitszeit und des Umgangs mit Zeit, umfasst aber auch liturgische Bausteine, die bei der Vorbereitung von Gottesdiensten eine Hilfe sein können.
Die andere Seite der Freiheit
Von Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
Der Titel eines Ohrwurms aus dem Jahr 1973 geht mir unwillkürlich durch den Kopf: „Immer wieder sonntags!“ Ich muss an ihn nicht etwa aus Nostalgie denken, sondern angesichts der fortgesetzten Versuche, die Zeiten des Kaufens und Verkaufens zunehmend auf den Sonntag auszuweiten. In dem erfolgreichen Evergreen von Cindy und Bert kommt sonntags regelmäßig die Erinnerung an unbeschwerte Gefühle von romantischer Zweisamkeit in lauen Sommernächten zurück.
Wenn es heute um den Sonntag geht, kommt zunächst ganz anderes ins Spiel: Geschäftigkeit im buchstäblichen Sinne des Wortes. Immer mehr verkaufsoffene Sonntage soll es geben. Auch sonntags „shoppen“ gehen: Dafür werden – wie vor kurzem in Nordrhein-Westfalen – allerlei vermeintlich harte Fakten ins Feld geführt. Zum Beispiel diese: Das Freizeitverhalten der Menschen habe sich geändert; im Internet könne man rund um die Uhr einkaufen, und das mache den Einzelhändlern das Leben ohnehin schon schwer genug; die Innenstädte verödeten allmählich wegen mangelnder Attraktivität.
Und überhaupt: Warum lasse man den Leuten nicht die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob und wann sie einkaufen oder ausruhen wollen, statt alle in dasselbe Zeitkorsett zu zwängen? Mit „Freiheit“ und „Zwang“ sind tatsächlich die entscheidenden Stichworte benannt. Allerdings meint „Freiheit“ in diesem Bündel von Argumenten ausschließlich die Freiheit des Verkaufens und Konsumierens. Beides muss man sich leisten können, sonst werden die Fakten wirklich hart. Die Freiheit derer, die sonntags an der Kasse sitzen müssen, dürfte durch mehr verkaufsoffene Sonntage kaum größer werden. Im Einzelhandel arbeiten zu rund 70 Prozent Frauen, etwa die Hälfte davon in Teilzeit und nicht selten alleinerziehend. Es vergrößert sich wohl auch nicht die Freiheit der Geschäftsleute, die es sich nicht leisten können, sonntags zu öffnen – und deshalb fürchten müssen, vom Markt verdrängt zu werden.
Ist die „Befreiung des Wirtschaftens“ nicht selbst ein Zwang, der am Ende doch nur ganz wenigen nützt?
Nach Cindy und Bert fällt mir Thomas Mann ein. Der hanseatische Kaufmannssohn und Schriftsteller hatte sich in strenger Selbstdisziplin einen eng getakteten Arbeitsplan verordnet, an den er sich geradezu zwanghaft hielt. Was er über den Sonntag schreibt, klingt aber anders. Es hat mit der Freiheit des Menschen zu tun – und mit der Gleichheit aller Menschen vor Gott.
In seiner Novelle „Das Gesetz“ lässt er Gott zu Mose und dem Volk Israel sagen: „Mein Tag soll der Tag deiner Freiheit sein, die sollst du feiern. Sechs Tage sollst du ein Ackerer oder ein Pflugmacher oder ein Topfdreher oder ein Kupferschmied oder ein Schreiner sein, aber an meinem Tag sollst du ... gar nichts sein, außer ein Mensch und deine Augen aufschlagen zum Unsichtbaren.“
Und kurz darauf zeigt sich, wie eng Gleichheit und Ruhe, Freiheit und Freizeit zusammengehören: „Mache überhaupt nicht einen so dummdreisten Unterschied zwischen dir und den anderen, dass du denkst, du allein bist wirklich, ... der andere aber ist nur Schein. Ihr habt das Leben gemeinsam, und es ist nur Zufall, dass du nicht er bist.“
Im Alltag sind wir Menschen verschieden und müssen es sein. Wir sind geprägt durch das, was wir leisten und tun, was wir sehen und vorzeigen, was wir herstellen und erwirtschaften können. Das kostet Kraft und Zeit. Sechs Tage Zeit. Aber wir sind mehr als das, Gott sei Dank. Um dies zu spüren und zu erleben, brauchen wir ebenfalls Zeit, gemeinsame und frei gestaltete, geschenkte und menschliche Zeit. Immer wieder sonntags.
Über Annette Kurschus
Annette Kurschus ist Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, stellvertretende Ratsvorsitzende
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Herausgeberin von chrismon.
Wir danken chrismon für die Veröffentlichung dieses Artikels
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken